Am Dienstag, den 17. November 2015, besuchte eine fünfköpfige, hochrangige österreichische Parlamentsdelegation die Hauptstadt der Region Kurdistan, um sich persönlich über die Herausforderungen der Flüchtlingskrise und den andauernden Krieg gegen ISIS zu informieren. Außerdem wurden Möglichkeiten besprochen, wie Österreich seine bilateralen Hilfsleistungen für die Region Kurdistan noch weiter verbessern kann.
Die Parlamentarier wurden vom Premierminister der Regionalregierung Kurdistans (KRG), Nechirvan Barzani, und dem Vizepremierminister Qubad Talabani empfangen. Die Reise beinhaltete außerdem Treffen mit verschiedenen anderen hochrangigen Vertretern der Region, Mitgliedern des Parlaments der Region, dem Erzbischof von Ankawa, Bashar Warda, sowie einen Kurzbesuch bei einem Flüchtlingslager für christliche Binnenvertriebene. Die Reise wurde mit einer gemeinsamen Stellungnahme der österreichischen Delegation für mehr Unterstützung von Österreich für die Region Kurdistan in ihrem Kampf gegen ISIS abgeschlossen.
Die vier größten Parteien des österreichischen Parlaments stellten die Mitglieder der hochrangigen Delegation: Andreas Schieder, Klubobmann der SPÖ im Nationalrat, Dr. Reinhold Lopatka, Klubobmann der ÖVP im Nationalrat, Gernot Darmann, Vizeklubobmann der FPÖ im Nationalrat und Berivan Aslan, Nationalratsabgeordnete der Grünen. Außerdem wurde die Delegation von Lukas Mussi, stv. Leiter des Protokolls im Österreichischen Parlament, sowie Dr. Mustafa Ramazan, Repräsentant der KRG zu Österreich, bei ihrer zweitägigen Reise begleitet.
Krise in Kurdistan
In den Treffen wurde die Delegation über die jüngsten Entwicklungen in Sinjar und Umgebung sowie über das Vordringen der Peshmerga gegen ISIS informiert. Seit den Angriffen von ISIS im Juni 2014 stieg die Anzahl an Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, welche Schutz in der Region Kurdistan Irak suchen, exponentiell an. Kurdistan beherbergt nun 1,8 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Um die Lage bewältigen zu können, müsse man internationale Hilfen für Flüchtlinge verstärken, hielt Andreas Schieder fest. Dr. Lopatka betonte, dass die Region Kurdistan mit seinen 5,1 Millionen Einwohnern eine der am schwersten betroffenen Regionen im Nahen Osten sei. Während des Treffens mit Premierminister Nechirvan Barzani lobte Dr. Lopatka außerdem wie die Kurden diese schwierige Situation bewältigen und hielt fest, dass „die Kurden ISIS im Namen der freien Welt bekämpfen. Sie verdienen unsere volle und unnachgiebige Solidarität in diesem Kampf.“
Während aller Treffen unterstrichen kurdische Offizielle die wirtschaftlichen und humanitären Belastungen der Krise auf die Bevölkerung und Regierung Kurdistans. Der Vize-Premierminister der KRG, Qubad Talabani, betonte, dass das Budget und die Ressourcen der KRG weit überstrapaziert seien und berichtete der österreichischen Delegation, dass die KRG einen Kampf an drei Fronten kämpft: der Krieg mit ISIS, die humanitäre Krise, sowie die daraus entstehende wirtschaftliche Krise, welche durch den niedrigen Ölpreis nochmal verstärkt werde. Vize-Premierminister Talabani hielt außerdem fest, dass die wirtschaftliche Krise die anderen Krisen befördere und dass ohne Unterstützung der internationalen Gemeinschaft die Region Kurdistan auf sich alleine gestellt es nicht bewältigen wird können, die Krise in seinen Grenzen zu halten. Berivan Aslan und Gernot Darmann stimmten zu und fügten an, dass Kurden vor Ort in ihrem Kampf gegen ISIS direkt gestärkt werden müssen, um die Probleme an der Wurzel anzupacken.
Kurdische Offizielle bedankten sich bei der internationalen Gemeinschaft für die bereits gegebene, anhaltende militärische Unterstützung und bei Österreich im Speziellen für seine humanitäre Hilfe. Obwohl wichtige Siege gegen ISIS in Sinjar errungen werden konnten, ist der Kampf gegen die Terrormiliz jedoch noch nicht gewonnen. Der Außenminister der Region Kurdistan, Falah Mustafa Bakir, betonte, dass eine ernst gemeinte regionale und internationale Kooperation sowie erhöhter Einsatz der Anti-ISIS Koalition vonnöten sein wird, um ISIS zu besiegen. Er wiederholte, dass die Lösung des Problems nicht rein militärischer Natur sein kann. Das Problem sei vielmehr multidimensional und brauche politische, wirtschaftliche, ideologische, als auch bildungstechnische Lösungsansätze.
Parlamentarischer Austausch und Wiederaufbau von Sinjar
Während des Besuches wurde die österreichische Parlamentsdelegation außerdem vom Parlamentspräsidenten Dr. Jaffar Eminki empfangen und traf sich mit hochrangigen Vertretern der Parteien im Parlament der Region Kurdistan, sowie parlamentarischen Vertretern der Minderheitengruppen. Zusätzlich zur humanitären Krise wurde außerdem Besprochen, wie die beiden Parlamente ihre Beziehungen weiter stärken und wie man bilaterale Treffen zwischen Österreich und Kurdistan intensivieren könne. Daran anknüpfend bedankte sich Klubobmann Schieder im Namen der Delegation für die Gastfreundschaft der Region Kurdistan und sprach eine Einladung für die kurdischen Parlamentarier aus, Österreich und sein Parlament auch einmal zu besuchen.
In einem Treffen mit dem Innenminister der KRG, Karim Sinjari, erklärte der Minister die notwendigsten Bedürfnisse der Peschmerga und jene der befreiten Gebiete im Detail. Sinjar wurde durch die ISIS-Besatzung komplett zerstört und Peschmerga-Truppen müssen nun an der Räumung von Minen und Sprengfallen in der Stadt arbeiten. Wenn man jedoch die Ausmaße der Zerstörung und immer noch schwelenden Gefahr durch Sprengfallen betrachtet, ergibt sich der Schluss, dass die schlecht ausgerüsteten Peschmerga ohne internationale Hilfe viel Zeit und Ressourcen in die Räumung investieren müssten, welche andernorts besser eingesetzt wären. Alle kurdischen Vertreter unterstrichen die hohen Kosten um Sinjar wieder aufzubauen und alle jesidischen Vertriebenen wieder in ihrer Heimat anzusiedeln. Innenminister Sinjari bat daher die österreichische Regierung, sich für mehr internationale Unterstützung für den Wiederaufbau von Sinjar einzusetzen.
Besuch eines christlichen Flüchtlingslagers
Nach einem informativen Treffen mit dem Vertreter der christlichen Gemeinschaft in der Region Kurdistan, Erzbischof Bashar Warda, besuchte die Delegation das „Ashti 2“-Flüchtlingslager in Ankawa. Das Lager liefert Schutz für mehr als 5000 Christen, welche letzten Sommer aus Mossul vor der Gewalt der Terrormiliz ISIS flohen und in Erbil Unterkunft fanden. Die Delegation stimmte zu, dass die Flüchtlingskrise tatsächlich eine globale Krise sei, welche einer globalen Antwort bedürfe. Sie versicherten den kurdischen Offiziellen, dass sie für eine Erhöhung der österreichischen humanitären Unterstützung direkt für die Region Kurdistan eintreten werden.
Die Berichterstattung der österreichischen Medien zu Delegationsreise:
Tiroler Tageszeitung: Irakische Kurden wollen mehr westliche Hilfe im Kampf gegen IS
Wiener Zeitung: Österreichische Parlamentarier auf Mission im Nordirak
APA-OTS: Kurden verdienen volle Solidarität im Kampf gegen IS