Der Außenminister der Kurdenregion im Irak, Falah Mustafa Bakir, verlangt eine Intensivierung der internationalen Luftunterstützung und eine humanitäre Hilfsbrücke für Flüchtlinge zwischen Europa und der Kurdenregion.
Die Presse: Die Stadt Kobane in den syrischen Kurdengebieten ist nach wie vor heftig umkämpft. Was muss getan werden, um die Stadt vor dem IS zu retten?
Falah Mustafa Bakir: Die kurdischen Kämpfer in Syrien haben bewiesen, dass sie ein erfolgreicher Partner vor Ort sind. Die internationale Gemeinschaft muss die Luftangriffe intensiv fortführen und jede Hilfe bereitstellen, damit wir IS besiegen können.
Die Presse: Der Türkei wird von vielen Kurden vorgeworfen, diese Hilfe nicht zu leisten. Sie erlaubt den Kurden nicht, einen Korridor nach Kobane zu errichten und es gibt sogar Vorwürfe, Ankara arbeite mit IS zusammen. Wird das die guten Beziehungen Ihrer Regierung zu Ankara verändern?
Falah Mustafa Bakir: Wir haben sehr gute Beziehungen und wollen sie weiterentwickeln. Wir müssen uns gemeinsam auf die Bedrohung durch IS konzentrieren. Das ist auch im Interesse der Türkei. Die Türkei hat ihre eigene Politik. Sie hat sich dazu entschlossen, Teil der internationalen Koalition gegen IS zu sein. Das ist ein guter Schritt. Aber ein Punkt bleibt: Wir verstehen, dass die Situation in Syrien kompliziert ist. Aber wenn wir die Themen IS und Syrien verbinden, wie Ankara das verlangt: Bekommen wir dann die nötige internationale Resolution? Nein. Deshalb müssen wir erst die Bedrohung durch IS bewältigen, danach sollte sich die internationale Gemeinschaft zusammensetzen und eine Lösung für Syrien erarbeiten. Es ist nicht die Zeit dafür, Dinge zu komplizieren.
Die Presse: Der Chef der kurdischen Guerillaorganisation PKK, Cemil Bayik, hat im „Presse“-Interview gesagt, dass der Friedensprozess mit der Türkei vorbei sei – wegen der türkischen Untätigkeit in der Grenzstadt Kobane.
Falah Mustafa Bakir: Die Fortsetzung des Friedensprozesses zwischen der PKK und Ankara ist im Interesse aller. Wir dürfen deshalb nicht zulassen, dass dieser Prozess gestoppt wird. Es ist nicht gut in diesem kritischen Moment, in dem wir der Bedrohungen durch IS gegenüberstehen, mit dem Ende des Friedensprozesses zu drohen.
Die Presse: Die PKK und die mit ihr verbündeten Einheiten in Syrien leisten einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen IS – auch in der Kurdenregion im Irak. Sehen Sie einen Rivalen heranwachsen?
Falah Mustafa Bakir: Es geht nicht um Rivalität, sondern darum, einander zu unterstützen. Wir wollen keine Friktionen unter den kurdischen Gruppen.
Die Presse: Friktionen gab es in der Vergangenheit vor allem zwischen der Kurdenregion und dem irakischen Premier Nouri al-Maliki. Sind diese Probleme jetzt durch den Abgang Malikis gelöst?
Falah Mustafa Bakir: Es geht uns nicht darum, dass bestimmte Personen ersetzt werden. Es geht um einen grundsätzlichen Wandel in Bagdad. Wir wollten, dass Bagdad offener gegenüber den Rechten und den Wünschen der Kurden ist. Es gibt verfassungsmäßige Garantien für die Kurden im Irak, die respektiert werden müssen. Wir haben der neuen Regierung in Bagdad bis Ende des Jahres Zeit gegeben, um mit uns eine echte Partnerschaft aufzubauen. Wenn die Politik Malikis fortgesetzt wird, dann war der Regierungswechsel in Bagdad sinnlos. Wir haben Versprechen in der Vergangenheit erhalten. Jetzt ist es Zeit für Taten. Wenn Bagdad die Unterstützung der Regierung der Kurdenregion haben will, muss es zeigen, dass es anders als bisher bereit dazu ist, die Macht und den Reichtum im Land zu teilen.
Die Presse: Die Kurdenregion wollte ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Ist das nach dem IS-Angriff noch immer auf dem Tisch?
Falah Mustafa Bakir: Angesichts der jahrelangen falschen Politik von Premier Maliki, der Monopolisierung der Macht und der Marginalisierung anderer Gemeinschaften, haben wir einen Punkt erreicht, an dem es keine gemeinsame Ebene mehr für Erbil und Bagdad gegeben hat. Wir haben nicht den föderalen und demokratischen Irak bekommen, der uns auch gemäß der Verfassung versprochen wurde. Präsident Barzani hat klar gemacht: Es gibt zwei Pfade. Einer ist, den Verantwortlichen in Bagdad beim gemeinsamen Aufbau eines echten föderalen Staates zu helfen. Der andere ist, ein Referendum abzuhalten, bei dem die Menschen von Kurdistan ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben. Die Regierung in London hat vor der Abstimmung den Menschen in Schottland mehr angeboten, damit sie im gemeinsamen Staat bleiben. Das hatten wir auch von Bagdad erwartet. Aber Bagdad hat uns weggestoßen, in eine Richtung, dass wir den Irak verlassen. Sie haben aufgrund politischer Differenzen die Gelder für die Kurdenregion gestrichen. Und unsere Peshmerga-Truppen, die in der Verfassung des Irak als regionale Truppen anerkannt werden und im Kampf gegen IS stehen, haben keinen Sold erhalten.
Die Presse: Aber ist angesichts der Bedrohung durch IS ein Referendum noch möglich? Es hat sich gezeigt, dass die Kurdenregion auch Unterstützung braucht – etwa durch irakische Truppen, um IS aus Mosul zu vertreiben.
Falah Mustafa Bakir: Wir müssen realistisch sein. Derzeit muss oberste Priorität der Kampf gegen die Terrorgruppe IS sein – nicht nur für uns sondern auch für Bagdad. Es ist nicht klar, wieviel von der irakischen Armee überhaupt übrig geblieben ist. Zehn Divisionen sind einfach zusammengebrochen.
Die Presse: Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?
Falah Mustafa Bakir: Wir sind dankbar, dass uns so viele Länder bisher geholfen haben. Aber wir brauchen mehr Hilfe. Wir haben um eine humanitäre Brücke zwischen Europa und der Kurdenregion gebeten. Wir haben in der Kurdenregion 1,5 Millionen Flüchtlinge. Viele sind schwer traumatisiert. Diese Terroristen haben das Mittelalter wieder zum Leben erweckt: Sie köpfen Menschen und versklaven Frauen. Wir müssen mit der Flüchtlingskrise klarkommen und zugleich an einer 1035 Kilometer langen Front gegen IS kämpfen. Wir sind stolz, an vorderster Front gegen eine Terrorgruppe zu kämpfen, die die gesamte Welt bedroht. Die Luftschläge müssen fortgeführt und intensiviert werden. Und die Peshmerga müssen schwere Waffen und Munition erhalten, damit sie auch in die Offensive gehen können. Die Terroristen lassen überall dort, wo sie zurückgedrängt wurden, Sprengfallen und Minen zurück. Das ist ein großes Problem und hat bei unseren Peshmerga zu vielen Verlusten geführt. Wir benötigen internationale Hilfe – etwa Ausrüstung für das Räumen von Minen. Wir wollen auch, dass die Verbrechen, die der IS an den Yeziden und anderen Minderheiten verübt hat, als Genozid anerkannt werden.
Die Presse: Es gibt Gerüchte, dass während des Kampfes gegen IS auch iranische Truppen in der irakischen Kurdenregion im Einsatz waren.
Falah Mustafa Bakir: Kurdistan hat seine eigenen Peshmerga-Truppen. Wir sind stolz auf die Peshmerga und ihre lange Geschichte. Hätten wir zusätzliche Bodentruppen gebraucht, hätten wir danach gefragt. Wir haben gesagt, wir brauchen keine Kämpfer, aber wir brauchen Luftunterstützung und schwere Waffen für die Peshmerga. Wir brauchen in Zukunft die Hilfe unserer Freunde, um aus den Peshmerga-Truppen eine professionelle nationale Armee zu machen. Der Iran hat, so wie auch andere Länder, uns mit militärischen Experten geholfen. So wie wir viele Berater aus Großbritannien und anderen Ländern hatten, waren auch iranische Militärberater bei uns. Aber sie sind nicht so sehr in der Kurdenregion sondern eher in anderen Teilen des Irak im Einsatz.
Den Orginalartikel finden Sie hier