Brüssel, Belgien (KRP.org) – Der Präsident der Region Kurdistan Masoud Barzani sprach am 22. Jänner 2014 vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments in Brüssel.
Während der von zahlreichen Parlamentsabgeordneten besuchten Veranstaltung gab der Präsident Auskunft über die neuesten politischen und sicherheitspolitischen Entwicklungen im Irak, in Kurdistan und in den umliegenden Regionen. Er forderte das EU-Parlament auf, die Menschen in Kurdistan in dem Prozess der Anerkennung der Verbrechen gegen das Volk Kurdistans im Irak als Völkermord solidarisch zu unterstützen. Er sagte: „Wir möchten, dass sich die Länder solidarisch mit den Rechten der Menschen in Kurdistan zeigen. Wir rufen Sie auf, keine Bemühungen zu scheuen, um die Anerkennung des Völkermords an unserem Volk durchzusetzen.“
Der Präsident wies darauf hin, dass die relative Stabilität und Sicherheit in Kurdistan auf eine Politik der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gemeinschaften zurückzuführen sei.
„In der Zeit nach dem Aufstand im irakischen Kurdistan im März 1991 wollten wir uns nicht an den Menschen, die uns unterdrückt haben, rächen. Auch nach dem Sturz des Regimes im Jahr 2003 haben wir an niemanden Rache geübt. Wir haben ein neues Kapitel mit unserem eigenen Volk und mit anderen aufgeschlagen. Das hat uns geholfen, unsere Anstrengungen auf den Wiederaufbau unseres Landes zu konzentrieren und so die Schmerzen und das Leid unseres Volkes zu verringern. Das Ergebnis dieser Politik ist das hohe Maß an Sicherheit und Stabilität in der Region“, so der Präsident. Nach seiner Rede stellte sich der Präsident den Fragen der Parlamentsabgeordneten. Dabei wurden die Fortschritte begrüßt, die Kurdistan in den Bereichen Sicherheit, Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung gemacht hatte. Vor allem lobten die EU-Parlamentarier die politische Führung von Präsident Barzani und dankten der Region für ihre großzügige Unterstützung der vielen Flüchtlinge und für die Toleranz gegenüber anderen Religionen, welche in Kurdistan vorzufinden ist.
Der vollständige Text der Rede des Präsidenten:
Zu allererst möchte ich mich beim Ausschuss des EU-Parlaments für auswärtige Angelegenheiten für die Einladung, heute hier sprechen zu können, bedanken. Es besteht kein Zweifel, dass die EU eine äußerst wichtige Rolle spielt und es in vielen Bereichen erhebliches Potenzial für eine Zusammenarbeit zwischen der EU, der irakischen Regierung sowie der Regionalregierung Kurdistan gibt, insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Handel. Wie Sie wissen, gibt es eine Vereinbarung zwischen der EU und der irakischen Regierung und wir hoffen, dass die KRG im Rahmen dieser Vereinbarung eine Rolle spielen wird, um die EU und unser Land, das EU-Parlament und die Region Kurdistan, einander näher zu bringen.
Ich möchte Ihnen heute von der ehemals tragischen Situation der Menschen in Kurdistan berichten. Die kurdische Bevölkerung im Irak hat schwer unter einer Reihe von feindlichen Angriffen gelitten. Wir waren Opfer chemischer Giftgasangriffe während der berüchtigten Anfal-Kampagne. In dieser kamen bis zu 182.000 Menschen ums Leben. Bislang waren wir jedoch nur in der Lage, die Überreste von 4.000 Toten aus Massengräbern nahe der südirakischen Wüste zu bergen und ehrenvoll zu bestatten. Die Suche nach den übrigen Opfern ist in vollem Gange. Bei dem chemischen Giftgasangriff auf Halabja wurden in nur wenigen Minuten 5.000 unschuldige Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, ermordet.
Meine Damen und Herren,
wir in der Region Kurdistan haben uns eine Politik der Toleranz, des friedlichen Zusammenlebens und das Akzeptieren des jeweils anderen zu eigen gemacht. In der Zeit nach dem Aufstand im irakischen Kurdistan im März 1991 haben wir uns nicht an den Menschen gerächt, die uns unterdrückt haben. Auch nach dem Sturz des Regimes im Jahr 2003 haben wir uns nie rächen wollen. Wir schlugen ein neues Kapitel mit unserer eigenen Bevölkerung auf. Das hat uns geholfen, unsere Anstrengungen auf den Wiederaufbau unseres Landes zu konzentrieren und so die Schmerzen und das Leid unseres Volkes zu verringern. Das Ergebnis dieser Politik ist das hohe Maß an Sicherheit und Stabilität in der Region. Dies hat auch dazu beigetragen, dass sich viele internationale Unternehmen in Kurdistan niederlassen bzw. in die Region investieren. Ein einfaches Beispiel, vor 2003 lag das Pro-Kopf- Einkommen in Kurdistan bei weniger als 500 US-Dollar; jetzt ist es auf mehr als 5000 US-Dollar gestiegen. Wir befinden uns am Anfang des Wiederaufbaus. Im Moment fokussieren wir uns auf den Aufbau demokratischer Institutionen und wir benötigen Ihre Hilfe und Ihr Know-how dafür. Wir möchten, dass Sie sich solidarisch mit den Rechten der Menschen in Kurdistan zeigen. Wir rufen Sie auch dazu auf, Ihre Bemühung im Bereich der Anerkennung des Völkermords an den Kurden zu verstärken.
Wir möchten in Zukunft vermehrt mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten, um ein EU-Vertretungsbüro in Kurdistan zu schaffen. Dies soll helfen die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und der Region Kurdistan zu verstärken und zu erweitern.
Wir möchten Sie bitten, den politischen Prozess im Irak auf Grundlage der irakischen Verfassung, der Demokratie, des Föderalismus und des Kampfes gegen den Terrorismus zu unterstützen. Der Terrorismus ist zu einem gefährlichen Phänomen geworden, der sich gegen alle Völker der Welt richtet. Wir selbst haben unter terroristischen Angriffen gelitten, aber wir sind standhaft im Kampf gegen den Terrorismus geblieben, denn Standhaftigkeit ist der einzige Weg, damit umzugehen.
Wir führen unser Land nach den Prinzipien politischer Toleranz und Religionsfreiheit. Frauen spielen eine wichtige Rolle im Wiederaufbau der Gesellschaft und in der Etablierung unserer politischen Institutionen. Wir haben bis heute 250.000 syrische Flüchtlingen, vor allem Kurden, aber auch Arabern und Christen, Zuflucht in der Region gewährt. Wir beherbergen auch 200.000 irakische Araber die aus dem Zentrum und dem Süden des Landes vor dem Terrorismus nach Kurdistan geflohen sind und in unserer Region Schutz gesucht haben. 10.000 christliche Familien, die aus vielen Teilen des Iraks geflüchtet sind, befinden sich momentan in der Region Kurdistan. Darüber hinaus sind weiter 15.000 Menschen aus der Provinz Anbar nach Kurdistan geflohen.
Wir sind stolz darauf, dass sich Kurdistan zu einem Zufluchtsort und einem sicheren Hafen für soviel Menschen entwickelt hat. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass die Hilfe der internationalen Gemeinschaft für diese Flüchtlinge nicht gleichzusetzen ist mit der Hilfe, die Flüchtlingen in anderen Ländern zu teil geworden ist.
Um die Stabilität der Region Kurdistan zu gewährleisten, werden wir unsere Politik fortsetzen und eng mit dem Irak zusammenarbeiten, um alle Probleme zu beseitigen und unsere staatlichen Institutionen zu verbessern und zu stärken. Wir bekräftigen unsere Verpflichtung gegenüber der irakischen Verfassung. Noch einmal möchte ich um Ihre Hilfe und Unterstützung ansuchen. Vielen Dank.