Dr. Mustafa Goran, Vertreter der Regionalregierung Kurdistan Irak (KRG) in Wien, leitet ein Team von mehr als einem Dutzend Mitarbeitern, um sich um die täglichen Angelegenheiten der Vertretung zu kümmern, und um die diplomatischen Beziehungen und offiziellen Besuche zwischen Erbil und Wien zu unterstützen. Das Büro organisiert kulturelle Veranstaltungen, bringt Menschen aus Kurdistan und Österreich zusammen, und hält den Kontakt mit der kleinen kurdischen Gemeinde in Österreich aufrecht.
Mit Rudaw sprach er über die jahrzehntelangen guten Beziehungen der Kurden zu Österreich, und erläuterte, dass die Vertretung als eine Erweiterung dieser Beziehungen gesehen werden kann.
Es folgt eine bearbeitete Transkription des Interviews mit Rudaw:
Rudaw: Österreich war das erste europäische Land, das direkte Flüge nach Erbil angeboten hat. Was bedeutet das in Bezug auf die kurdisch-österreichischen Beziehungen?
Dr. Mustafa Goran: Das war im Dezember 2006. Dieses Angebot veränderte die Region Kurdistan enorm, denn es war plötzlich möglich, der internationalen Gemeinschaft, den Wirtschaftsdelegationen und politischen Delegationen einen First-Class-Zugang zur Region zu gewähren. Es ersparte viel Zeit. Wien ist eine gut positionierte Stadt, eine Drehscheibe für Anschlussflüge. Diese Direktverbindung hat sehr geholfen und weiter zur Verbesserung der ausgezeichneten Beziehungen zwischen Österreich und der Region Kurdistan beigetragen.
Rudaw: Worauf basiert die österreichisch-kurdische Beziehung?
Dr. Mustafa Goran: Die Partnerschaft geht bis in die 1970er Jahre zurück, in mancher Hinsicht sogar noch länger. Österreich hatte zur Zeit der Kanzlerschaft (Bruno) Kreiskys eine sehr offene Außenpolitik in Bezug auf die Kurden, nicht nur den irakischen Kurden, sondern auch den Kurden des iranischen Teils. Präsident Talabani, Präsident Barzani oder von den iranischen Kurden (Abdul Rahman) Ghassemlou, wurden alle herzlich willkommen geheißen, auch auf Ministerebene. Sie hielten hier Gespräche; Österreich war zu der Zeit das einzige Land, das hochrangige Verbindungen mit Kurden pflegte. Und im Jahr 1976, Ende März, zur Zeit der Flüchtlingskrise in Irakisch-Kurdistan und Iran, nahm Österreich 100 Kurden als Flüchtlinge in Wien auf.
Rudaw: Was geschah mit diesen 100 Flüchtlingen? Ich habe gelesen, dass einige von ihnen zu angesehenen Mitgliedern der österreichischen Gesellschaft aufgestiegen sind.
Dr. Mustafa Goran: Viele von ihnen waren Akademiker, die ihr Studium in Wien fortsetzten und beendeten es, und nun als Ärzte oder Ingenieure tief in der österreichischen Gesellschaft verwurzelt sind. Einige von ihnen sind auch in die österreichische Politik gegangen oder als Politiker in die Region Kurdistan zurückgekehrt. Viele von ihnen sind auch in der kurdischen Gemeinschaft sehr aktiv. Wir haben Parlamentssprecher und Minister, die Teil dieser Gruppe waren, die 1976 nach Österreich kam. Einige von ihnen haben auch derzeit hohe Ämter innerhalb der Parteien oder in der Regierung der Region Kurdistan inne. Es zeigt, dass diejenigen, die damals kamen wirklich versucht haben, sich zu integrieren, deswegen sind auch ihre Kinder teilweise noch hier. Einige von ihnen sind in die Region zurückgekehrt. Sie haben die Bildungsmöglichkeiten in Österreich genutzt und zu schätzen gewusst. Bildung war zu dieser Zeit äußerst wichtig. Ich war unter den 100 Flüchtlingen und absolvierte mein Medizinstudium in Wien und war dann Arzt in einem anerkannten österreichischen Krankenhaus. Jetzt bin ich der Repräsentant der Regionalregierung hier.
Rudaw: Wer machte den ersten Schritt in den kurdisch-österreichischen Beziehungen? Hat es geholfen, dass kurdische politische Parteien in Österreich immer aktiv waren, sogar noch vor 1991?
Dr. Mustafa Goran: Da die kurdische Diaspora von 1976 an in Österreich war, haben sich einige hier engagiert und Vertretungen der zwei großen Parteien, der Patriotischen Union Kurdistans und der Demokratischen Partei Kurdistans eröffnet. Seit den 80er Jahren haben führende Politiker beider Parteien Österreich regelmäßig besucht, vor allem Präsident Talabani und Präsident Barzani. Einer der ersten hochrangigen Kontakte bestand damals mit dem späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky, der sich mit Mullah Mustafa Barzani 1957 in Moskau traf, während dieser im Exil in der Sowjetunion war.
Rudaw: Gibt es österreichische Investoren und Unternehmen in der Region Kurdistan?
Dr. Mustafa Goran: Ein herausragendes Beispiel, abgesehen von Austrian Airlines und zum Teil auch OMV, ist Doppelmayr, der weltweit führende Hersteller von Seilbahnen. Das Unternehmen aus dem Westen Österreichs hat ein großes Projekt in der Region Kurdistan auf dem Berg Korek durchgeführt und dort eine beeindruckende Seilbahn errichtet. Viele andere österreichische Unternehmen waren anfangs ein bisschen, ich würde nicht sagen skeptisch, aber ein bisschen vorsichtig mit Projektinvestitionen in der Region Kurdistan, denn die Informationen, die sie durch die Medien erhielten, setzten die Lage in Kurdistan und dem Rest des Iraks immer gleich. Mittlerweile sehen wir allerdings verstärktes Interesse und Engagement. Natürlich ist der Markt jetzt auch bereits gesättigter als noch vor vier bis fünf Jahren. Es gibt dennoch viele Möglichkeiten und zahlreiche spezialisierte mittelständische Unternehmen versuchen, in der Region sesshaft zu werden. Sie sehen die Region auch als Tor zum Rest des Iraks.
Österreich eröffnete auch eines der ersten kommerziellen Büros in der Region Kurdistan, als die Außenhandelsstelle im Jahr 2006 von Bagdad nach Erbil umzog. Da Österreich im Moment keine Botschaft in Bagdad hat, werden alle konsularischen Dienste von der österreichischen Botschaft in Amman in Jordanien abgehandelt. Aber wir haben im Jänner diesen Jahres nun auch eine Visa-annahmestelle in Erbil eröffnet, die Anträge für Schengen-Visa für Österreich annimmt. Das ist ein weiterer großer Schritt, um den Prozess zu erleichtern. Früher mussten man nach Amman oder Ankara, das war natürlich für viele Menschen mit Umständen verbunden.
Rudaw: Welche gemeinsamen Interessen haben die Region Kurdistan und Österreich?
Dr. Mustafa Goran: Gegenseitige Geschäftsinteressen liegen vor allem in der Tourismusbranche, denn Österreich ist ein bekanntes Reiseziel. Die Region Kurdistan kann stark vom österreichischen Know-how profitieren. Wenn der Streit zwischen Bagdad und Erbil einmal gelöst ist, erwarten wir, dass mehr österreichische Unternehmen die wirtschaftlichen Chancen in der Region Kurdistan wahrnehmen werden. Ein weiterer möglicher Bereich wäre auch die Kleinindustrie, spezialisierte Branchen wie Nahrungsmittelproduktion, zum Beispiel in Form von Molkereiprodukten. Österreich bietet hohe Qualität in all diesen Bereichen und die Region Kurdistan kann vom Fachwissen in Bereichen wie der Milchproduktion, aber auch der Landwirtschaft im Allgemeinen, lernen. Österreich und Kurdistan sind sich in vielen Aspekten ähnlich: Berge und Kleinindustrie.
„Europäischen Ländern ist mittlerweile bekannt, was die Region Kurdistan ist und was sie zu bieten hat.“
Rudaw: Als Diplomat und Vertreter der KRG hier im europäischen Ausland, wie viel glauben Sie wissen die Europäer, vor allem die politische Führungsspitze, über die Region Kurdistan?
Dr. Mustafa Goran: Da die meisten KRG Repräsentanten in Europa stationiert sind, wissen die europäischen Länder sehr wohl, was die Region Kurdistan ist und was sie zu bieten hat. Die Region empfängt viele Delegationen der Europäischen Union, aber auch Delegationen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und auch aus Österreich. Im November 2011 besuchte eine große österreichische Wirtschaftsdelegation unter der Leitung des damaligen Außenministers Dr. Spindelegger zuerst Bagdad und dann Erbil. Die meisten dieser europäischen Länder haben jetzt diplomatische Vertretungen wie Konsulate oder Honorarkonsulate in der Region Kurdistan. Im Moment sind es 27.
Rudaw: In welchen Bereichen kann sich Österreich in Kurdistan beteiligen? Zum Beispiel haben einige Länder Fachwissen in Bereichen wie Landwirtschaft, Gesundheit oder Technologie, welches sie an Entwicklungsländer weitergeben.
Dr. Mustafa Goran: Natürlich ist Österreich auch für die hohe Qualität seines Gesundheitssektors bekannt. Die Region Kurdistan kann von diesem Wissen mit Sicherheit profitieren.
Rudaw: Gibt es eine große kurdische Gemeinschaft in Österreich? Sind Sie in Kontakt mit ihr?
Dr. Mustafa Goran: Wir haben eine große kurdische Gemeinschaft, aber sie ist vergleichsweise kleiner als in anderen Ländern, denn Österreich ist ein kleines Land. Außerdem sind Sozialversicherungssysteme und die Umstände und Voraussetzungen in skandinavischen Ländern oftmals besser, zum Beispiel in Schweden. Eine Menge der Kurden, die nach Österreich gekommen sind, sind nach Schweden weitergezogen. In Österreich zählt die kurdische Gemeinde aus dem Irak rund 5.000-8.000 Mitglieder.
Rudaw: Hat sich die Beziehung zwischen Österreich und der Region Kurdistan vertieft seitdem die Vertretung in Österreich eröffnet wurde?
Dr. Mustafa Goran: Es gab auf jeden Fall eine Steigerung der Aktivitäten. Delegationen reisen nun nach Kurdistan, nicht nur wirtschaftliche Delegationen, sondern auch wissenschaftliche Institute und Think-Tanks. Im vergangenen Mai hatten wir eine Delegation österreichischer Think-Tanks, die in die Region Kurdistan gereist ist und Gespräche mit Parlamentsabgeordneten vor Ort führte. Ich denke, unsere Vertretung hat zu dieser Entwicklung viel beigetragen und in Zukunft wird es weitere Bemühungen geben, die Beziehungen noch zu vertiefen und zu verstärken.
Rudaw: Wie ist Ihr Verhältnis mit der irakischen Botschaft?
Dr. Mustafa Goran: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zur irakischen Botschaft in Österreich. Wir arbeiten über viele Aspekte hinweg sehr eng zusammen und wir helfen und unterstützen uns gegenseitig in vielen Bereichen. Wir organisieren zum Beispiel Veranstaltungen, wie das Newroz Fest, zusammen.