Falah Mustafa Bakir, der Chef-Diplomat der autonomen Provinz liebäugelt mit Abspaltung
KURIER: Die türkische Luftwaffe bombardiert die PKK in Kurdistan, wie empfinden Sie so etwas?
Falah Mustafa Bakir: Wir glauben, dass es im Interesse des Friedens und der Stabilität ist, dass der Waffenstillstand eingehalten wird und dass die Friedensgespräche fortgesetzt werden. Weil wir gesehen haben, dass Kämpfen keine Lösung bringt. Und die anhaltenden Militäraktionen, die anhaltende Gewalt wird dieses Problem nicht lösen. Es ist ein politisches Problem, ich denke, dass es wichtig für beide Seiten ist, sich um einen Waffenstillstand zu bemühen, um Friedensgespräche, um einen Dialog. Die Geschichte hat gezeigt: Wenn es ein politisches Problem gibt, kann es nicht militärisch gelöst werden.
Sie sprechen von einem Dialog zwischen der PKK und der türkischen Regierung?
Für uns geht es um das kurdische Thema. Um das kurdische Thema in der Türkei. Der Punkt ist: Wir müssen alle Beteiligten einbinden und zu Friedensgesprächen bringen.
Als was für eine Art Nachbar würden Sie die Türkei bezeichnen? Zwischen der Regierung irakisch Kurdistans und der Türkei bestanden zuletzt sehr pragmatische Beziehungen. Ist die Türkei eher ein Gegner oder ein potenzieller Partner?
Was die kurdische Regionalregierung angeht, so haben wir eine spezielle Sicht auf die Situation. Wir leben in einer sehr schwierigen Region. Aber wir wollten immer gute Beziehungen zu unseren Nachbarn aufbauen. Beziehungen, die auf Respekt, Verständnis und gegenseitigem Nutzen basieren. Wir haben eine Politik der offenen Türen zu unseren Nachbarn, um Kommunikationsbrücken und Vertrauen aufzubauen und vor allem, um nachhaltige bilaterale Beziehungen zu schaffen, die beiden Seiten nutzen. Wir betrachten unsere Nachbarn immer als wichtig. Seien es die Türkei, der Iran oder andere Länder. Der Punkt ist: Wir leben in derselben Region, wir können das nicht ändern, sie können das nicht ändern – das ist, wieso es wichtig ist, eine gemeinsame Basis zu finden. Der Punkt aber ist: Wenn sie heute von der Lage in Kurdistan sprechen, dann sprechen wir von der Lage in irakisch Kurdistan. Wenn wir aber von der kurdischen Situation in der Türkei sprechen, dann sprechen wir über die Türkei. Unsere Politik ist klar: Wir wollen uns nicht in die internen Angelegenheiten der Türkei einmischen, wir respektieren die territoriale Integrität, aber zugleich unterstützen wir die Rechte der Kurden in der Türkei. Daher drängen wir auf einen Dialog zwischen den beiden Seiten – weil das im Sinne beider Seiten ist.
Wenn Sie also frei übersetzt sagen, man muss pragmatisch mit der Lage in der Region umgehen, dann könnte die Türkei sagen: Sie beherbergen einen türkischen Staatsfeind auf ihrem Gebiet – die PKK. Wie würden Sie denn die Beziehungen zwischen ihrer Administration und der PKK beschreiben?
Wir stimmen nicht in allem zu, was die PKK tut. Wir haben unsere Unstimmigkeiten. Aber wir sagen, dass Gewalt kein Weg ist, um Probleme zu lösen. Unsere Botschaft also ist: Das ist ein internes türkisches Problem, wir wollen nicht, dass Kurdistan dafür den Preis bezahlt, wir wollen nicht, dass unser Territorium bombardiert, unsere Leute getötet oder in die Flucht getrieben werden. Zugleich aber sagen wir: Wir wollen nicht, dass Leute unser Gebiet nutzen, um über die Grenze hinweg Aktionen durchzuführen. Wir sind in einer schwierigen Lage. Freilich unterstützen wir die Rechte der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Aber zugleich wollen wir unsere Beziehungen zur Türkei entwickeln.
In der gegenwärtigen Gemengelage in der Region könnte man sagen, die Zeiten stehen äußerst gut, auch formell Unabhängigkeit auszurufen. Wie weit ist die Region von diesem Schritt entfernt?
Das weiß niemand. Aber definitiv, für einen Staat braucht man Institutionen, man braucht Territorium, eine Regierung, ein Militär. Man muss der Welt beweisen, dass man sich schützen und zu den Nachbarn Beziehungen unterhalten kann. Wir haben all das. Und die Menschen in Kurdistan verdienen eine bessere Zukunft. Aber diese Zukunft muss in Frieden geschaffen werden. Durch ein Referendum, in dem die Menschen entscheiden können, wie diese Zukunft aussehen soll.
Dieses Referendum wird immer wieder erwähnt, gibt es einen Zeitpunkt dafür?
Präsident Barzani hat es sehr klar gesagt: Es braucht eine klare Entscheidung der Regierung über Inhalt, den Zeitpunkt, aber das bedeutet auch nicht, dass Kurdistan gleich nach der Abstimmung seine Unabhängigkeit erklärt. Unsere Position ist klar: Wir wollen verstehen, was die Menschen wollen. Nach dem Referendum wird die Regierung Kurdistans mit dem Ergebnis nach Bagdad gehen und es diskutieren. Wir sind nicht in der finalen Phase vor dieser Abstimmung, aber wir meinen es ernst.
Denken Sie, dass Sie in Bagdad dahingehend auf offene Ohren stoßen werden?
Wir müssen realistisch und pragmatisch sein. Es ist uns nicht gelungen, als gleiche Partner zusammenzuleben. Wenn es uns also nicht gelungen ist, dann müssen wir uns eine Alternative überlegen. Seit Februar 2014 haben wir aus Bagdad kein Geld bekommen. Rechtlich und auch nach der Verfassung geht das nicht. Aber sie haben es gemacht. Zweitens: Wir befinden uns in einem harten Kampf gegen ISIS. Das ist ein teurer Krieg. Drittens: Wir haben 1,8 Millionen Flüchtlinge aus dem Rest der Irak und aus Syrien in Kurdistan. Der Fall des Ölpreises hat schwere finanzielle Probleme für uns nach sich gezogen. Also wenn wir angefangen haben, von einem Referendum zu sprechen, dann haben wir bereits gesehen, dass uns Bagdad nicht als Partner sieht. Wir sind nicht Teil des Entscheidungsfindungsprozesses in diesem Land. Wir müssen also realistisch sein. Entweder wir setzen die Verfassung um so wie sie war oder wir einigen uns auf eine andere Formel, die den Rahmen für eine bessere Koexistenz bildet. IDPs, Krieg gegen den IS, der Verfall des Ölpreises – Bagdad hat uns in all dem nicht unterstützt. Diese Situation kann nicht für immer anhalten. Wir können so nicht weitermachen. Wir müssen ein ordentliches Verhältnis zueinander finden – sei es in einer Föderation, in einer Konföderation oder in der Unabhängigkeit. Bedingung aber: Es muss Einigkeit darüber geben.
Auf der anderen Seite ist es doch bemerkenswert, dass sehr viel ausländische Hilfe – sei sie militärisch oder humanitär – gezielt in diese Region fließt.
Einige Staaten haben entschieden, an dem einen Ort zu sein, andere haben entschieden, woanders zu sein. Wir sind dankbar dafür. Direkt erhalten wir nichts – alles läuft über Bagdad. Alle Staaten, die hier aktiv sind, unterstützen uns über Bagdad.
Sie würden also nicht sagen, dass ausländische Unterstützung einer faktischen Anerkennung Kurdistans gleichkommt?
Wir würden es bevorzugen, wenn uns direkt mit Waffen und Munition geholfen würde. Aber alles läuft über Bagdad. Und das ist eben das Problem, das wir haben: Es besteht kein Vertrauen zwischen Erbil und Bagdad.
Ist diese Unterstützung aus dem Ausland genug?
Wir sind dankbar dafür. Aber wir brauchen mehr. Wir brauchen Ausrüstung, wir brauchen Training, schwere Waffen. Wir haben großen Bedarf. Wir sind aber zugleich stolz auf unsere Peshmerga. Die ganze Welt sollte auf sie stolz sein. Wir haben nicht nach personeller militärischer Unterstützung gefragt. Wir haben die Kämpfer, die diesen Krieg gewinnen können.
Würde Kurdistan ausländische Truppenentsendungen, vielleicht westliche Kontingente, willkommen heißen?
Wir haben nicht danach gefragt. Aber wie ich gesagt habe, wenn die Staaten keine Truppen entsenden wollen, dann versorgt uns wenigstens mit den Waffen, die wir brauchen, um diesen Krieg zu gewinnen.
Diese militärische Unterstützung, die hier in der Region geleistet wird, kommt auch aus der Türkei: Wie sehen Sie dieses Engagement?
Es ist eine geteilte Verantwortung. Terrorismus ist eine Gefahr für uns alle und kein Land ist immun. Also, je mehr Koordinierung es gibt, desto besser. Es ist nicht nur ein Krieg, der an der Front ausgefochten wird. Wir müssen IS wirtschaftlich, ideologisch, kulturell besiegen. Dabei müssen Staaten kooperieren. ISIS ist international.
Würden Sie meinen, dass in diesem Kampf gegen den Terror, die Türkei die korrekte Auswahl der Gegner trifft?
Was uns angeht, so ist die Türkei für eine Trainingsmission mit den Peshmerga hier. Das ist ein wichtiges Engagement. Und es gibt ein gemeinsames Interesse.